8 Fehleinschätzungen in der agilen Transformation (Teil 2/2)
Im ersten Teil dieser Blogserie ging es bereits um die Fehleinschätzungen eins bis vier. Hieran knüpft dieser Artikel an und liefert vier weitere Stolpersteine in der agilen Transformation.
Teil 5: Alles Alte ist schlecht und muss sich auf das Neue einstellen
Es ist wichtig, sich immer vor Augen zu führen, dass die Unternehmen, die in eine agile Transformation eintreten wollen, bereits zuvor sehr erfolgreich waren. Dem muss Respekt gezollt werden!
Ein großer Fehler ist es, dies nicht zu tun. Es werden so unnötige Gräben aufgerissen, die die weitere Kommunikation erschweren und die Bereitschaft massiv reduzieren, die Dinge, die wirklich renovierungsbedürftig sind, auch an zu packen.
Und der Respekt ist für den Berater und Coach für die Ausgestaltung des Transformationsprozesses wichtig: er hilft ihm die Unternehmen in ihren individuellen Erfolgsrezepten zu erkennen und verhindert, das Veränderungsvorgehen nach einem 08/15-Muster auszugestalten.
Wie gelingt es, den nötigen Respekt aufzubauen? Es ist relativ einfach: am Anfang erstmal zuhören. In der Wechselwirkung mit vielen Mitarbeitern ist es wichtig, nicht nur methodisch, sondern auch fachlich und prozessual diskussionsfähig zu werden. Das Interesse an ihren – teils persönlichen – Herausforderungen der täglichen Arbeit schafft den Nährboden dafür, dass Anregungen aufgegriffen und umgesetzt werden.
Fachliche Prozesse und soziale Dynamiken müssen so verstanden sein, bevor es gelingt, einen robusten und akzeptierten Pfad für die ersten Schritte der Transformation zu finden.
Teil 6: Die agile Transformation ist ein Projekt
Hinter dieser Aussage verbirgt sich im Kern der Wunsch des Managements, die Kontrolle nicht zu verlieren. Der Transformationsprozess soll mit Meilensteinen an eine konkrete Zeitlinie gehaftet werden. Neben dem althergebrachten Steuerungsreflex, der dem zugrunde liegt, folgt dieser Wunsch häufig auch budgetären Notwendigkeiten: wenn das Budget für die teuren Coaches verbraucht ist, muss der Veränderungsprozess auch erfolgreich abgeschlossen sein.
Der innere Widerspruch in diesem Ansatz ist tatsächlich relativ leicht aufzudecken. Konfrontiert mit solchen Planungsansprüchen reicht häufig die Feststellung, dass der agile Transformationsprozess doch angestoßen wurde, um komplexe Herausforderungen unter Rahmenbedingungen zu bewältigen, die sich regelhaft und nicht planbar verändern. Dem wird der Gesprächspartner zustimmen, sofern er schon ein Minimum an Vorbereitung hinsichtlich eines agilen Mindsets erfahren hat. Ist einmal an dieser Stelle Konsens erzielt, so führt bereits die folgende Frage zum Ziel: „Ist denn nicht auch ein agiler Transformationsprozess durch diese Charakterisierung – komplexe Herausforderung, sich potenziell schnell ändernde Rahmenbedingungen – treffend beschrieben?“
Daraus folgt dann die gemeinsame Erkenntnis, dass idealerweise auch der Transformationsprozess selbst bereits agilen Prinzipien folgen sollte: nach der Formulierung einer Organisationsvision erfolgt der Fortschritt iterativ, mit regelmäßigen Retrospektiven und Nachjustierungen. Langfristige Meilensteine können durchaus gesetzt werden, um einen Maßstab für die Erwartungshaltung an den Fortschritt gegenüber dem tatsächlichen Fortschritt zu haben – sie folgen aber nicht den „Commitment“-Vorstellungen, die generell an Meilensteine geknüpft werden.
Projektpläne dienen dazu, komplizierte Probleme zu lösen – es gibt Ablaufrezepte und übertragbare Best Practices. Transformationen, in denen Menschen ihr Verhalten ändern sollen, sind komplex und entziehen sich einer klassischen Vorgehensweise.
Teil 7: Die teure Beratung wird es schon richten
In aller Regel ist in der Anfangsphase einer agilen Transformation eher lückenhaftes, theoretisches Wissen über einen solchen Veränderungsprozess und seine Auswirkungen vorhanden. Vor diesem Hintergrund ist es tatsächlich wichtig, sich Beratungs- und Coachingexpertise früh ins Haus zu holen.
Ich mache diese Differenzierung zwischen Berater und Coach, da ich diese Rollen wie folgt verstehe: der Berater denkt prozess- und methodenorientiert und entwickelt kundenspezifische, an einem agilen Mindset orientierte Ablaufmodelle. Der Coach orientiert sich an dem, wo der Mensch steht: er versucht die Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit der Ablaufmodelle zu schaffen, in dem er ein spezifisches Menschen- und Führungsbild vermittelt.
Für den Erfolg eines Transformationsprozesses sind beide Rollen essenziell. Der Transformationsprozess ist erst vorbei, wenn beide Rollen überflüssig sind. Und hier entsteht das eigentliche Problem: gerade Veränderungen auf Haltungsebene dauern sehr lange an und lassen sich nicht erzwingen. Sie erfordern regelhaftes, kritisches Feedback und die Fähigkeit des Coaches, auf allen Ebenen der Organisation den Wunsch zur persönlichen Weiterentwicklung zu wecken und diesen Prozess zu begleiten.
An diesem Punkt wird das Problem offensichtlich: der Weg zum Erfolg ist so lang, dass niemand bereit ist, ihn in ständiger Begleitung einer externen Beratung zu durchschreiten. Somit wird häufig die Unterstützung vor Abschluss des Prozesses, insbesondere vor der Entwicklung der erforderlichen Haltung, abgebrochen – mit dem Ergebnis, dass die agilen Organisationsansätze in den folgenden sechs bis zwölf Monaten in sich zusammen fallen wie ein Kartenhaus.
Die Lösung für diese Herausforderung ist einfach: die eigentliche Arbeit der Transformation darf nicht durch externe Berater und Coaches getätigt werden. So nützlich sie zur Startphase sind – die Abhängigkeit von ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten sollte so schnell als möglich aufgelöst werden. Vielmehr muss der explizite Auftrag an sie gerichtet werden, gezielt einzelne Mitarbeiter zur Fortführung ihrer Tätigkeit zu entwickeln. Diese Mitarbeiter werden darüber hinaus mit Trainings begleitet und so sukzessiv befähigt. Parallel dazu sollte auch der eigene Personalaufbau die kurz- bis mittelfristige Besetzung von Coaching-Rollen vorsehen.
Diese Kombination ist das Mittel zum langfristigen Erfolg der Transformation: neue Mitarbeiter mit Coaching-Kompetenz in Kombination mit alten Mitarbeitern, die diese entwickeln und gleichzeitig tief in der Unternehmensgenetik verwurzelt sind.
Teil 8: Jeder Mensch ist zur Selbstorganisation fähig
Von den acht ausgewählten Fehleinschätzungen unterlaufen die ersten sieben zumeist Menschen, die noch keine hinreichenden Berührungspunkte mit agilen Organisationen hatten. Die These „Jeder Mensch ist zur Selbstorganisation fähig“ wird hingegen zumeist von überzeugten Agilisten vertreten. Auch in namhafter Fachliteratur zu New Work Konzepten wird leider dieses Weltbild vermittelt.
Selbstverständlich ist, dass bei jeder Modellierung der Zusammenarbeit von Menschen in einer Organisation ein Menschenbild als systematische Grundlage erforderlich ist. Menschen sind aber nun mal extrem unterschiedlich. Aufgrund dieser Diversität sollte das grundlegende Menschenbild so unspezifisch wie möglich sein, da mit jeder Schärfung die Anzahl der Menschen, deren Verhalten im Toleranzbereich des Modells liegt, reduziert wird.
Selbstorganisationsfähigkeit ist ohne Frage ein Schlüsselaspekt in der agilen Transformation. Aber dieser Fähigkeit bringt tatsächlich nicht jeder mit sich. In der Literatur wird gerne darauf verwiesen, dass es den Menschen doch auch gelingen würde, ihr Privatleben zu organisieren – warum sollte das dann nicht auch im Arbeitsumfeld reibungsfrei gelingen? An dieser Stelle muss ich immer schmunzeln – denn wer kennt sie nicht aus seinem privaten Umfeld: die Unstrukturierten, die Unzuverlässigen, die Menschen, die ihre Rechnungen nicht öffnen, die Fristen verstreichen lassen, …
Die entscheidende Aussage ist: im Hinblick auf den agilen Transformationsprozess ist es ebenso falsch wie unnötig, die Eigenschaft der Selbstorganisationsfähigkeit jedem einzelnen abzuverlangen.
Worauf es ankommt, ist die Entwicklung der Selbstorganisationsfähigkeit von Teams. Dies ist ein wesentlicher Unterschied! Ein Team kann selbstorganisiert sein, auch wenn einzelne daraus es nicht sind. Eine agile Organisation funktioniert generell, wenn sie teamorientiert arbeitet und das generelle Teambewusstsein agil ist. Einzelne können und werden aus diesem Muster ausscheren.
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