Meeting-Kultur - oder: Warum sind manche Meetings so anstrengend
Spätestens mit Beginn der Pandemie haben es Online-Meetings auf gefühlt jeden Rechner der Arbeitswelt geschafft. Weg vom Treffen in Präsenz im Büro, weg vom Flurfunk, hin zu teils den ganzen Tag andauernden Meeting-Marathons.
Für viele Menschen sind mehrere Meetings innerhalb eines Tages ohnehin anstrengend (Stichwort “Meeting-” oder auch “Zoom-Fatigue”). Jedoch spüren Meeting-Marathons noch etwas Anderes:
Aus dem einen Meeting kommt man extrem energetisiert heraus und will die Welt verändern, während man ein anderes erschöpft verlässt, so, als hätte jemand einem die ganze Energie abgesaugt. Woher kommen diese unterschiedlichen Effekte? Es kann ja nicht nur an der Menge des getrunkenen Kaffees liegen.
In diesem Beitrag möchten wir diese Frage aus unserer Perspektive beantworten, Muster benennen und Maßnahmen beschreiben, die dabei helfen können, eure Meetings positiv zu verändern.
Mehr Fokus durch Moderation und Meeting-Ziel
Ja, es gibt sie, die nicht moderierten “Kaffee-Date”-Meetings zwecks Teambuilding und Flurfunk-Ersatz, die oft ganz schön und locker sein können. Möchte man jedoch ein konkretes Thema oder eine Herausforderung im aktuellen Projekt besprechen, stört es eher, wenn der eine Kollege schon wieder so viel Rede-Anteil hat, vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt oder man sich ständig (wenn auch manchmal versehentlich) gegenseitig unterbricht.
Nicht zu Wort kommen, ohne Fokus hundertzwanzig Themen besprechen, keine konkreten Maßnahmen oder Erkenntnisse mitnehmen – das alles kann sehr energieraubend werden. Das Gehirn muss nämlich zwischen verschiedenen Themen springen und versuchen, mitzukommen. Es wird zudem viel Energie aufgebracht beim Versuch, irgendwo eine kleine Lücke Rede-Anteil zu ergattern. Und wenn man dann noch ohne sinnvolle Erkenntnisse oder konkrete nächste Schritte das Meeting beendet, war das alles auch noch umsonst und führt zu Frust. “Jetzt brauchen wir auch noch ein Folge-Meeting zu dem Thema, dabei habe ich eh schon so viel zu tun.”, denkt man da ganz schnell.
Fokus ist hier das Zauberwort. Die oben genannten Energieräuber können durch einige wenige Maßnahmen ganz oder zumindest teilweise gelöst werden:
Ziel und Outcome des Termins definieren
- Wenn ihr ein klares Ziel vor Augen habt, das am Ende des Meetings als Ergebnis herauskommen soll, könnt ihr leichter darauf hinarbeiten. Nennt das Ziel in der Einladung und zu Beginn des Meetings.
- Formuliert das Ziel als Outcome. Verwechselt Outcome übrigens nicht mit Output. Outcome beschreibt eine Wirkung, Output den Ertrag einer Arbeit.
Beispiel: Ein Outcome ist nicht: “Lasst uns in diesem Meeting über Thema abc sprechen”, sondern: “Lasst uns bis zum Ende des Termins beim Thema abc auf drei Lösungsansätze einigen, damit wir Klarheit haben, welche nächsten Schritte wir angehen müssen”. - Jemand, der viel sagt, könnte sich inhaltlich viel wiederholen. Oder die Kollegin spricht nur über Dinge, die sowieso schon allen klar sind. Hier haben wir einen hohen “Rede-Output”. Dies zahlt jedoch nicht unbedingt auf das Ziel eines Termins, also das Outcome, ein, und bietet keinen Mehrwert. Daher lohnt es sich, offen anzumerken, wenn ein Meeting inhaltlich gerade nicht in Richtung Outcome führt, selbst wenn doch eigentlich lebhaft diskutiert wird.
Meetings moderieren
- Ein*e Moderator*in kann auf das Ziel des Termins hinarbeiten und Fokus wiederherstellen, wenn vom eigentlichen Ziel abgewichen wird oder sich Beiträge wiederholen
- Die Moderator*in hat einen Überblick über Rede-Anteile und kann stillere Teilnehmer*innen gezielt einbinden sowie lautere bitten, sich zurückzunehmen
- Die Moderator*in hat die Uhr im Blick und kann Meetings pünktlich beginnen und beenden, damit auch die nachfolgenden Meetings nicht benachteiligt werden – was im Übrigen zu mehr Wertschätzung für die Kolleg*innen der Anschluss-Meetings führt!
- Wenn man sich per Chat oder digitalem Handzeichen meldet, um einen Beitrag anzukündigen, erschlägt man gleich drei Fliegen mit einer Klappe:
- Es ist klar, in welcher Reihenfolge gesprochen wird
- Durcheinandersprechen wird vermieden
- Man überlegt paar Sekunden länger, ob man einen sinnvollen Beitrag hat, bevor man einfach drauf los redet – und erzeugt bereits in seinem Kopf mehr Fokus
Damit lebendige Diskussionen jedoch nicht im Keim erstickt werden, sollte man zusätzlich ein Zeichen festlegen, das anzeigt, dass jemand inhaltlich sofort auf einen Beitrag antworten möchte und nicht warten kann, bis er später an der Reihe ist
“Kurze Meetings” einrichten
- Viele Kalender bieten die Option, standardmäßig kurze Meetings einzurichten, sodass z.B. ein Meeting von einer eigentlich geplanten halben Stunde nur 25 Minuten lang geht. Dies bietet die Vorteile, dass man zwischen zwei Meetings Zeit hat, um sich gedanklich schon auf das neue Meeting vorzubereiten, dass man sich weniger häufig verspätet – oder dass wir unserem Kopf einfach mal eine kurze Verschnaufpause gönnen. Dies hilft dabei, Fokus zu generieren.
Aktive Beteiligung
Viele von uns haben es schon einmal erlebt: Bei einem Termin dabei sein, obwohl man gar keinen einzigen Beitrag bringt oder sich inhaltlich gar nicht einbringen kann. Vielleicht ist man auch zähneknirschend in einem Termin dabei, weil es von einem erwartet wird, obwohl man doch gerade ganz schnell das eine wichtige Dokument fertig stellen wollte. Daher macht man beides eben parallel und stellt die Kamera aus, damit das keiner merkt – so spart man Zeit und alles wird pünktlich fertig. Oder?
Nur bei einem Termin dabei zu sein, um Erwartungen zu entsprechen, aber mit der Teilnahme keinen Mehrwert zu bieten – das kann ganz schön frustrierend sein. Was hätte ich in der Zeit alles schaffen können, wenn ich nicht passiv in diesem Termin hätte sein müssen? Wenn man dann doch nebenher am wichtigen Dokument arbeitet, stellt man blöderweise nach dem Termin häufig fest, dass einem im Dokument dreiundzwanzig Fehler unterlaufen sind. Im Endeffekt hat man sich weder im Termin beteiligt, noch ein gutes Ergebnis beim Dokument erzielt und man muss nacharbeiten. Außerdem ist es mitunter auch unangenehm, wenn einem im Termin eine Frage gestellt wird, auf die man nicht reagieren konnte, weil man in sein Dokument vertieft war und nur so halb zugehört hat. Das wirkte unprofessionell und wenig wertschätzend gegenüber der Zeit der Kolleg*innen. Die eine kurze Frage, die gestellt wurde, hätte man ja im Nachgang auch noch klären können – und man hätte bedachter und souveräner Antwort gegeben.
Übrigens: Hättest du eigentlich während eines Präsenz-Meetings ebenfalls an deinem Dokument gearbeitet? Vermutlich nicht, das wäre nicht angemessen gewesen. Auch, wenn man es online nicht so schnell merkt wie in Präsenz – die Kolleg*innen nehmen oft trotzdem wahr, wenn parallel noch an etwas Anderem gearbeitet wird.
Auch diese Situationen können im Alltag sehr anstrengend sein. Zwischen Meeting und anderen Aufgaben zu jonglieren kann unseren Kopf sehr stressen. Fokus, Konzentration auf eine Aufgabe – im Zweifel auf das Meeting – und aktive Beteiligung sind hier wesentlich.
Völlig unterfordert und ohne Beitrag im Termin zu sitzen kann hingegen ziemlich ermüdend sein – der Kopf geht in einen Energiesparmodus über und der Elan schwindet. Dieses Meeting könnte man besser vorher absagen.
Vielleicht kann man den Sinn und Zweck seiner Meetings regelmäßig mit diesen Fragen überdenken:
- Warum sage ich bestimmte Termine nicht ab, wenn es gerade Wichtigeres gibt? Was ist mein Denkmuster dahinter?
- Haben die Anderen überhaupt die Erwartung, dass ich (immer) erscheine? Brauchen sie mich so dringend, oder ist es eigentlich völlig okay, wenn ich mal nicht dabei bin und vorher absage?
- Was ist mein Mehrwert im Termin, und welchen Mehrwert bringt der Termin überhaupt für alle Teilnehmer*innen? Wenn ich jedes Mal nur passiv dabei bin, hat der Termin vielleicht gar keinen Mehrwert für mich oder die Runde.
- Wer muss bei dem von mir eingerichteten Meeting unbedingt dabei sein, wer ist nicht so wichtig? Muss ich die nicht so wichtigen Kolleg*innen wirklich einladen?
- Wie viel Zeit und Kosten würden wir sparen, wenn wir an wichtigeren Themen arbeiten würden, anstatt mit riesiger, teils passiver Truppe im Meeting zu erscheinen?
- Hierzu auch eine Beispielrechnung und ein Gedanke:
- 20 Personen x 1,5h Meeting = 3,75 Arbeitstage
- Multipliziert mit einem fiktiven Tagessatz von 500 EUR: 3,75 Tage x 500 EUR = 1.875 EUR an Kosten für nur ein Meeting von 1,5 Stunden
- Wenn jetzt auch noch kein Outcome erzielt wurde und beispielsweise zehn Personen komplett ohne Mehrwert in diesem Meeting waren, wie sinnvoll waren das Meeting und seine Kosten dann noch? Zumal in der Zeit ja auch andere Arbeit liegen geblieben ist, die zu erledigen möglicherweise sinnvoller gewesen wäre.
- Ergo: Es spart eine Menge Geld und Zeit, wenn nicht pauschal alle möglichen Interessent*innen in Meetings eingeladen werden. Weniger ist mehr, zumal sich in großen Runden viele Teilnehmer*innen auch “leichter wegducken können” oder die Hemmschwelle größer ist, sich aktiv einzubringen, als in kleineren Runden.
- Im Übrigen kann Ähnliches auch für E-Mails gelten. Wie viele Leute lesen ohne echten Mehrwert eine Mail, nur weil sie ins cc gesetzt wurden, und wie viel Geld verbrennt dies in Summe? Schaut euch hierzu auch unseren Blog-Eintrag “Weg mit den E-Mails!” an.
Kamera an!
Das Thema Kameranutzung soll hier nicht unerwähnt bleiben. Es ist völlig okay, an einem schlechten Tag mal die Kamera auszulassen. Warum ist sie jedoch so häufig standardmäßig bei so vielen Kolleg*innen ausgeschaltet?
Auch wenn die Kamera Meetings in Präsenz nie gänzlich ersetzen kann, geht mit ausgeschalteten Kameras sehr viel Zwischenmenschliches verloren: Der größte Teil unserer zwischenmenschlichen Kommunikation geschieht über nonverbale Kommunikation. Wenn wir die Mimik und das Verhalten unserer Gesprächspartner*innen sehen, verstehen wir viel schneller und intuitiver, was gemeint ist. Dies gilt umso mehr bei Teams mit verschiedenen kulturellen Hintergründen.
Das Einschalten der Kamera verhindert häufig Missverständnisse und unangenehme Situationen – und damit die ganz großen Energieräuber. Merkt ihr immer sofort an der Stimme, wenn jemand einen zweideutigen Kommentar macht, dass dieser ironisch und nicht böse gemeint war? Oder fühlt ihr euch vielleicht doch etwas angegriffen, weil ihr das nett lächelnde Gesicht des Kollegen nicht sehen könnt, während er seinen zweideutigen Kommentar bringt? Bei Verhandlungen oder Gesprächen zu schwierigen, unangenehmen Themen ist es sogar noch viel wichtiger, sich über die Kamera zu sehen. Man erkennt sehr schnell unterbewusst an Mimik und Gestik, wie das Gegenüber zu einer Aussage steht.
Nicht zuletzt ist es auch wertschätzend gegenüber euren Kolleg*innen, die Kamera anzuschalten. Man nickt unterbewusst, wenn man zuhört, man lächelt zwischendurch die Kolleg*innen an, Aussagen wirken verbindlicher. Außerdem kann die Gruppe bei kleinen Abstimmungen in der Runde schnell mal über Daumen hoch oder Daumen runter ihre Meinung anzeigen. Es ist also auch noch praktisch.
Daher: Macht die Kamera an!
Fazit
Habt ihr oben Muster wiedererkannt, die auch in eurem Arbeitsumfeld vorkommen? Könnten die beschriebenen Impulse in eurem Umfeld Verbesserungen bringen? Welche Prinzipien sollen für eure Meetings gelten?
Wenn eure Meetings sich anstrengend anfühlen, macht es womöglich Sinn, ein “Meeting über Meetings”, bzw. eine Retrospektive zu Meetings, abzuhalten und zu diskutieren: Was stört uns, warum stört es uns und wie könnte es besser werden? Wo nehmen wir “Energieräuber” wahr? Vielleicht kann ein Teil der oben beschriebenen Lösungsimpulse in einer Meeting-Kultur eures Teams, Bereichs oder eures ganzen Unternehmens münden.
Der Artikel entstand aus einer Zusammenarbeit zwischen der Autorin, Alice Bauer, sowie zwei Kolleg*innen, Mario Meltzow und Vivian Kezić.