Transparent sein und die Unsicherheit akzeptieren
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Transparent sein und die Unsicherheit akzeptieren

30.04.2020 Posted 3 Jahren ago Dr. Stefan Barth

So gehen wir mit Corona um

Als die Presse am 29. Februar den ersten Corona-Fall in Bonn vermeldete, rief mich am späten Vormittag ein Kollege an. Er berichtete mir, dass in der Vorwoche ein Mitarbeiter von uns in einem Workshop, den er für einen Kunden durchführte, Kontakt mit einem Corona-Verdachtsfall hatte. Die Kombination dieser beiden Ereignisse machte mir deutlich, dass die Einschläge durch diese Krise näher kamen.

Keine zwei Wochen später war es schon so weit: Wir gaben die generelle Empfehlung an unsere Mitarbeiter*innen raus, vorläufig von zuhause aus zu arbeiten. Damit begann für das Managementteam die eigentliche Corona-Herausforderung.

Bessere Voraussetzungen als die meisten

So unerwartet uns die Krise traf, so waren wir doch strukturell besser vorbereitet als viele andere Unternehmen. Alle Mitarbeiter*innen dürfen schon seit Jahren – in Absprache mit ihren unmittelbaren Kollegen – mobil arbeiten. Dies erlauben wir nicht nur für den Fall „mal von zuhause“, sondern auch für Fälle von „ich bin dann mal weg“ – also Abwesenheiten von Wochen, Monaten und im Einzelfall Jahren.

Wir sind Softwareentwickler. Digitalisierung ist für uns kein Neuland, so dass die wenigen, nicht-digitalen Prozesse binnen Wochenfrist in Formate gebracht wurden, die der neuen Arbeitsweise gerecht wurden. Nur die Post muss noch geöffnet werden …

Unsere Kunden, wenn auch von der Krise betroffen, haben nur in ganz wenigen Fällen unmittelbare Konsequenzen im Hinblick auf unsere Zusammenarbeit gezogen. Damit war unsere Auftragslage zunächst stabil und alle Kolleg*innen voll beschäftigt. So stand – und dieses besonderen Glücks sind wir uns vollauf bewusst – nicht zuallererst unser wirtschaftliches Überleben auf dem Spiel.

Teamorientierung als großes Plus

Unser größtes Asset ist jedoch die dezentrale Führungsstruktur. Wir arbeiten überwiegend in Teams von 3 bis 8 Mitarbeiter*innen, die in hohem Maße selbstorganisiert sind. Dies zahlt sich nun in besonderer Weise aus: es bedarf keiner Führungskraft, um den Mitarbeiter*innen nun zu sagen, wie sie ihren Arbeitsalltag unter den neuen Bedingungen zu gestalten haben. Das haben die Teams vorher geschafft und das schaffen sie auch jetzt.

Dennoch fallen derzeit viele nebenläufige Themen an, um die sich ein Managementteam kümmern muss. Dazu gehören Themen wie

  • die Herstellung eines kontinuierlichen Informationsflusses an die Mitarbeiter*innen,
  • die Umsetzung von Maßnahmen zur Stützung des sozialen Zusammenhalts,
  • das Finden von Regelungen für Mitarbeiter*innen mit Herausforderungen in der Kinderbetreuung,
  • die Implementierung eines verschärften Risikomanagements,
  • und nicht zuletzt die besondere Betreuung unserer rumänischen Tochterfirma, die die Krise bisher viel härter getroffen hat als uns selbst.

 

Uns gelingt die Bewältigung all dieser zusätzlichen Aufgaben auch deshalb, weil wir unser Management teamorientiert und partizipativ aufgestellt haben. Seit Anfang des Jahres – ganz unabhängig von der Corona-Krise – haben wir uns dazu entschlossen, alle Themen, die nicht durch Teams eigenständig gelöst werden können, in einem großen Managementteam zu bearbeiten. Dieses Team umfasst derzeit 22 Teilnehmer*innen, inklusive der Geschäftsführung. Hier werden all die vorgenannten Aspekte zweimal in der Woche moderiert diskutiert, Subteams gebildet, um komplexere Themen zu bearbeiten und die Ergebnisse in die Organisation zu tragen. So verteilt sich die zusätzliche Last, die für Führungskräfte entsteht, auf ungleich mehr Schultern, als dies in einer klassischen, hierarchischen Struktur möglich wäre. Möglich ist dies auch, weil organisatorische Barrieren tabu sind: die Argumentation, dass etwas „mein“ Thema, etwas anderes jedoch „dein“ Thema sei, ist ausgeschlossen. Die Herausforderungen, vor denen wir augenblicklich stehen, betreffen alle in gleicher Weise!

Die Mitarbeiter*innen brauchen Zuversicht

Organisatorische Stabilität und nach wie vor gut funktionierende Arbeitsabläufe sind in der Krise hilfreich. Was die Mitarbeiter*innen jedoch derzeit essentiell benötigen, ist die Vermittlung von Zuversicht. Die Belastung durch die Heimarbeit in Kombination mit Kinderbetreuung, die soziale Vereinsamung und die täglich neuen Kriseneinschätzungen in den Medien ist für viele schon gewaltig – unsere Verantwortung ist es, ihnen wenigstens die Angst vor finanziellen Schwierigkeiten zu nehmen.

Dies ist für das Managementteam ein gefährliches Pflaster. Denn so sehr wir bisher mit einem blauen Auge davon gekommen sind: niemand weiß so recht, wie sich die gesamtwirtschaftliche Lage in den nächsten Monaten entwickeln wird und ob wir mittel- bis langfristig ohne größere Einbußen aus der Krise hervorgehen werden.

Seitens des Managements führt ein schlichtes „Alles wird gut“, „Augen zu und durch“ oder noch schlimmer, der Versuch einer konkreten Vorhersage, was geschehen wird, unweigerlich in die Unglaubwürdigkeit. Ersteres, weil es der Intellektualität unserer Mitarbeiter*innen nicht gerecht wird, zweiteres, weil man mit Sicherheit binnen weniger Wochen eine neue, „sichere“ Entwicklung wird prognostizieren müssen, die von der Erstversion nachhaltig abweicht.

Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, verfolgen wir zwei Maximen: Transparenz und die Akzeptanz der Unsicherheit.

In Optionen denken

Wir berichten in einer hohen Frequenz über die guten und schlechten Entwicklungen, die das Unternehmen betreffen. Dies geschieht in einem für alle Mitarbeiter*innen offenen Chatkanal, so dass Entwicklungen auch von allen kommentiert und hinterfragt werden können. Die aktuelle wirtschaftliche Lage ist Teil der Agenda eines virtuellen wöchentlichen Meetings, unserer sog. Remote-townhall, das wir jeden Freitagmittag für alle Mitarbeiter*innen ausrichten. In diesem Kontext haben wir auch die Möglichkeit geschaffen, anonyme Fragen zu stellen, die dann für alle beantwortet werden.

Auch der Blick in die Zukunft findet hier seinen Platz: Ausgehend von der bestehenden Situation stellen wir wöchentlich aktualisierte Szenarien im Hinblick auf die Frage vor, was denn die schlechtestmögliche, zu erwartende Entwicklung wäre. Es werden die präventiven Maßnahmen beschrieben, die zur Abwendung einer solchen Situation beitragen können. Und es wird dargelegt, welchen Status diese Maßnahmen in der Umsetzung haben – sofern ihre Umsetzung jetzt bereits sinnvoll erscheint. Vieles davon findet Erwähnung, bleibt aber augenblicklich noch in der Reserve.

Da wir nicht wissen, was uns erwartet, denken wir so in Optionen. Das Ziel ist es, stets möglichst viele Optionen offen zu halten oder sogar neue zu schaffen. Dies gewährleistet, dass wir auch bei einer sich zuspitzenden Lage stets handlungsfähig – oder wenigstens reaktionsfähig – bleiben. Genau diese Methode und ihre Ergebnisse in der praktischen Anwendung legen wir unseren Mitarbeiter*innen offen.

Es braucht keinen Plan

Man könnte meinen, dass die Konfrontation der Mitarbeiter*innen mit Optionen Unsicherheit hervorruft. Aber ganz das Gegenteil ist der Fall: die Transparenz in Kombination mit einer offenen Methodik, wie wir mit den Unwägbarkeiten in der aktuellen Situation umgehen, schaffen Sicherheit und Vertrauen. Die Mitarbeiter*innen spüren, dass die Kompetenz da ist, um die Situation bewältigen zu können. Allein die Tatsache, dass wir als Unternehmen handlungsfähig sind und glaubwürdig alles dafür tun, es zu bleiben, ist mehr, als viele augenblicklich erwarten. Dies ist die Grundlage für die Zuversicht, dass wir alle gemeinsam die aktuelle Krise überstehen.

Zu guter Letzt freuen wir uns über so etwas wie „einen kleinen Beweis“ dafür, dass es unseren Mitarbeiter*innen trotz Krise gut geht. Dieser Beweis zeigt sich in einer Mitarbeiterumfrage, die wir seit Herbst letzten Jahres monatlich durchführen. Das Ergebnis im April war im Gesamtbild das Beste, was wir seit Beginn der Erhebung hatten. Insofern scheinen wir den richtigen Weg zu gehen: die Zuversicht ist da.