Transparenz ist die Basis von Agilität
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Transparenz ist die Basis von Agilität

09.05.2022 Posted 1 Jahr ago Dr. Stefan Barth

Wir █████████ sind █████ total ██████ ████ transparent █████ ████ ██████████ ████!

Wenn ich einen Vortrag über agiles Arbeiten und unsere langjährigen Erfahrungen in der tarent halte, erwarten mich abschließend nahezu immer folgende Reaktionen: zunächst völlige Irritation darüber, warum wir – die tarent – noch nicht implodiert sind – und dann nach einer kurzen Erholungsphase – die Frage: was kann in der eigenen Organisation getan werden, um sich auf eine ähnliche Reise zu begeben?

Eine Umkehrung der Informationspolitik

Eine universelle Antwort hierauf gibt es nicht. Aber ein sehr guter, zumeist in seiner Wirkung völlig unterschätzter Schritt, ist die Schaffung von Transparenz im Unternehmen. Dies erscheint zunächst einfach, ist aber bereits Ausdruck eines sichtbaren Kulturwandels im Mangement. Denn gemeint damit ist nicht der Ansatz „ich streue mal ein bisschen mehr Informationen als sonst“ sondern eine Umkehrung der Informationspolitik – nicht nur aber, insbesondere für das Management: zukünftig werden alle Informationen des Unternehmens – sofern nicht rechtliche Gründe dagegen sprechen – allen Mitarbeitenden strukturiert und auffindbar zur Verfügung gestellt. Wir nennen dies bei uns das „Transparenzprinzip“.

Es gibt wenig, was wirklich vertraulich bleiben muss

Den Anfang muss die Führung machen: Ob die aktuellen Wirtschaftszahlen – vom Umsatz über die Liquidität bis zum Monats-, Quartals-, Jahresabschluss -, die (unternehmensweite) Auslastung der Mitarbeiter:innen, der Urlaubs- und Krankenstand, die Geschäftsführungsprotokolle, der Forecast für die nächste Periode – all das kann und sollte regelmäßig aufbereitet in die Organisation getragen werden. Hierbei reicht nicht die einfache Veröffentlichung – es muss in der Organisation wenigstens monatlich zum Thema gemacht und zum Diskurs eingeladen werden.

Bekanntermaßen ist aller Anfang schwer. Startet eine Führungsmannschaft eine solche Initiative, so wird diese aus mehrerlei Gründen keine unmittelbare Wirkung entfalten. Das Management muss zunächst lernen, dass es nicht in den Weihnachtsfeier-Marketing-Modus verfällt und ungeschminkt auch über die Dinge kommuniziert, die im Unternehmen nicht funktionieren – ohne Schuldzuweisungen und mit dem Signal, dass eine gemeinsame Verantwortung wahrzunehmen ist.
Das wird nicht einfach sein! Es treffen Menschen, die in der Regel ungeübt sind, sich selbst und das Unternehmensgeschehen offen zu erklären auf Mitarbeiter:innen, die mit den initial mäßig aufbereiteten Informationen wenig anfangen können. Hier heißt es dann: kontinuierlich besser werden in den Formaten der Informationsverteilung und der Erläuterung der Inhalte.

Vertrauen schaffen

Welchen Nutzen entfaltet diese Anstrengung mittelfristig? Die Mitarbeiter:innen realisieren – zunächst nur einige, offenere Kolleg:innen – , dass der neue Umgang mit Information ein Vertrauensbeweis seitens der Führung ist. Dinge, die vorher Geheimwissen waren, sind jetzt öffentlich! Und alle im Unternehmen wissen, dass nicht alles Gold ist was glänzt.
Wenn das Management darüber auch klar spricht und sich selbst glaubwürdig als Teil des Problems nicht nur darstellt sondern auch betrachtet, werden einerseits Kommunikations- und Lösungsräume eröffnet, die zuvor nicht bestanden und es wird andererseits die Grundlage für eine neue Fehlerkultur in der Organisation gelegt.

Aufbau von Kompetenz

Der offene Diskurs über Zahlen, Daten & Fakten des Unternehmensgeschehens dient allen Beteiligten.

Wenn ich gezwungen bin Menschen Dinge zu erklären, so erlange ich bei diesem Versuch grundsätzlich zu einem tieferen Erkenntnisniveau. Dem Management werden bereits bei der Vorbereitung der Kommunikation Zusammenhänge deutlich, die sie sonst ggf. falsch eingeschätzt oder gar übersehen hätten – weil der Grad der Eindringtiefe, den eine substanzielle Erklärung erfordert, nie erreicht worden wäre.

Der Wissensvorsprung des Managements zu den Mitarbeiter:innen wird sukzessiv reduziert. Dies wird dem Führungsteam spätestens zu dem Zeitpunkt gewahr, wenn es erstmals zu einer echten Diskussion mit den Mitarbeiter:innen zu den dargestellten Informationen kommt. Es entstehen neue Impulse und Ideen! Ist die Wahrnehmung eines langsam fortschreitenden Kompetenzaufbaus innerhalb der gesamten Organisation erstmal entstanden, steigt die Bereitschaft des Managements massiv, Vertrauen wirksam zu schenken und Themen dann auch vollständig zu delegieren.

Auch die Mitarbeiter:innen sind in der Pflicht

Was nicht vergessen werden darf: Managementinformationen sind nur ein Bruchteil der relevanten Information innerhalb des Unternehmens. Auch die Mitarbeiter:innen müssen angeleitet werden, alles, was sie tun, transparent zu machen und darüber regelmäßig zu berichten. Weniger im Sinne eines „Performance-Reports“ sondern vielmehr dem Ziel, ihren Beitrag zum gemeinsamen Erfolg für alle sichtbar zu machen.

Hierdurch sollen keine zusätzlichen Aufwände entstehen, es reicht häufig, wenn das Arbeitssystem schlichtweg für alle einsehbar ist und den Arbeitsstand verständlich darstellt. Gibt es Prozessänderungen, interne Projekte, von der Regel abweichende Maßnahmen, besondere Erfolge, o.Ä. in einem Team wird darüber gesondert gesprochen. Hierfür ist es ratsam, eine offen Kommunikationsplattform im Unternehmen zu etablieren, was dieser Informationsverteilung dienlich ist.

Obwohl das Management mit seiner eigenen, neugewonnenen Transparenz ein glaubwürdiger Vorreiter ist, stößt derselbe Transparenzanspruch gegenüber den Mitarbeiter:innen auf vielerlei Ressentiments.

Häufig ist es noch fehlendes Vertrauen – „Was passiert, wenn offensichtlich wird, dass ich an irgendeiner Fehlentwicklung Anteil habe?“ Dieses Problem löst sich nur mit der Zeit und der Kontinuität, mit der das Management seine eigene Transparenz und auch die Bereitschaft, Fehlentscheidungen zuzugeben, vorlebt.

Was dann letztlich noch bremst, ist ein merkwürdiger Ausdruck fehlenden Selbstbewusstseins, was sich in Äußerungen wie: „Was interessiert das schon die anderen, was ich da so mache?“ widerspiegelt. Dem ist einfach zu begegnen: „Wir sind ein Unternehmen, wir sind ein Team! Aus welchem Grunde sollte das, was Du – Ihr – tut, nicht für alle relevant sein?“ Die Erfahrung zeigt, dass es darauf keine vernünftige Antwort gibt.

Nur die Offenheit jedes einzelnen schafft für alle die Basis, das Gesamtgeschehen im Unternehmen auch verstehen zu können. Und Menschen, die das Gesamtgeschehen überblicken sind eher in der Lage unabhängige, unternehmerische Entscheidungen zu treffen und hierfür auch die Verantwortung zu übernehmen.

Schaffung von Solidarität und Identität

Mit der Transparenz über die täglichen Herausforderungen der Arbeit in den Rollen eines jeden einzelnen wächst auch das gegenseitige Verständnis. Wenn ich erfasst habe, warum ein Mensch handelt, wie er handelt, weil ich seine Schlüsse auf Basis der gemeinsamen Informationsgrundlage nachvollziehen kann, bin ich viel eher bereit, im Zweifel sogar die unangenehmen Auswirkungen seiner Entscheidungen auf meine eigene Person in Kauf zu nehmen. Weil ich verstanden habe, das es nicht anders geht und ich selber auch keinen besseren Vorschlag entwickeln kann. Die Transparenz sorgt dafür, dass aus dem Problem des anderen das gemeinsame Problem wird.

Darüber hinaus wirkt sie identitätsbildend: die Mitarbeiter:innen empfinden mehr und mehr, Teil eines größeren Ganzen zu sein – im Guten wie im Schlechten. Was beginnt mit dem Einreißen von Mauern zwischen Abteilungen – die zumeist aus gegenseitigen Missverständnissen bestehen – entwickelt sich mit der Zeit zu einer echten Unternehmensidentität.

Der Weg wird bereitet

Kommen wir zum Anfang zurück. Ich habe die Transparenz in den Zusammenhang mit der Einführung agiler Arbeitsweisen gebracht – und dies aus gutem Grund. Auch wenn sich Transparenz in dem unmittelbaren Wertesystem agilen Arbeitens nicht wiederfindet, so ist sie aus meiner Perspektive doch innerhalb einer Organisation maßgeblich, um das gewünschte Wertesystem überhaupt ins Leben zu rufen.

Rekapitulieren wir nochmal, was die Transparenz bewirkt:

  • Transparenz trägt (wesentlich) zu der Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:innen sowie innerhalb des Kollegiums selbst bei. Insbesondere die „negative“ Transparenz – die Transparenz im Falle eines Scheiterns – ist entscheidend, denn sie ist ausschlaggebend für die Entwicklung einer neuen Fehlerkultur.
  • Die damit einhergehende Wissensvermittlung verringert den Informationsvorsprung des Managements. Die Kompetenz der Mitarbeiter:innen wird entwickelt und damit die Befähigung eigenverantwortlich zu handeln. Die Bereitschaft zur Delegation steigt.
  • Schließlich befördert Transparenz sowohl die Entwicklung einer Unternehmensidentität als auch einer übergreifenden Solidarität in der Organisation.

 

Vertrauen, Fehlerkultur, Befähigung zum eigenverantwortlichen Handeln und Delegationsbereitschaft stellen grundlegende Voraussetzungen zur Entwicklung einer Kultur dar, die Selbstorganisation wertschätzt, Experimente zulässt und in der lebenslanges Lernen als maßgeblich anerkannt wird. Identität und Solidarität sind entscheidend für fokussiertes und teamorientiertes Handeln.

Agiles Arbeiten setzt all das voraus. Und damit bin ich bei der These meines Titels: Transparenz legt hierfür die Basis.

Dr. Stefan Barth

Dr. Stefan Barth, Unternehmer, COO und Agile Coach, setzt sich für agile Werte auf jeder Ebene ein. Er weiß, wie Unternehmen von der agilen Transformation profitieren – wirtschaftlich und menschlich.

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