Weg mit den E-Mails!
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Weg mit den E-Mails!

16.05.2022 Posted 1 Jahr ago Dr. Stefan Barth

Ein Freund von mir sprach mich neulich darauf an, dass ich dazu neigen würde, reißerische Titel für meine inhaltlichen Beiträge zu wählen, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Darin steckt sicherlich ein Fünkchen Wahrheit.

Aber in diesem speziellen Fall spiegelt der Titel tatsächlich in Reinform meine echte Überzeugung wieder! Lediglich eine Vereinfachung hat ihren Niederschlag gefunden: ich spreche von E-Mails in der internen Kommunikation einer Organisation – in der Kommunikation mit externen Kunden und Partnern haben sie auch aus meiner Sicht noch eine echte Berechtigung.

Diese Überzeugung ist nicht vom Himmel gefallen sondern das Ergebnis einer langjährigen Auseinandersetzung mit dem Kommunikationsmedium E-Mail und dem Versuch, das Medium in möglichst effizienter Weise im Unternehmen zum Einsatz zu bringen. Meine Lösungsansätze waren hier aus meiner Sicht auch durchaus erfolgreich – allerdings mit dem interessanten Nebeneffekt, dass das Verfolgen der Lösungsansätze zu der Erkenntnis führte, dass es andere elektronische Medien gibt, die für den internen Kommunikationseinsatz viel geeigneter sind. Kann ich Euch auch überzeugen?

30 Jahre – und nichts dazugelernt

Ob vor 30 Jahren oder noch heute – wir treffen in vielen Unternehmen immer noch auf ein verblüffendes Unvermögen, was den Einsatz von E-Mails anbetrifft.
Wer kennt es nicht:

  • E-Mails, die von ihrem Umfang her eher einer universitären Hausarbeit entsprechen als einer knappen Informationsübermittlung,
  • seitenlange Mail Threads, die nur mit viel Mühe durch ein Lesen von unten nach oben zu verstehen sind,
  • immer länger werdende cc Liste von Teilnehmern in einer Kommunikation.

 

In aller Regel gibt es zwei maßgebliche Ursachen für diese Auswüchse. Eine liegt in internen Konflikten, bei denen die Betroffenen nicht bereit oder in der Lage sind, sie offen auszutragen. Die andere ist häufig Angst und fehlendes Vertrauen: durch die Schriftlichkeit wird versucht, eine Beweislage für den Krisenfall vorzubereiten (”Cover Your Ass” – CYA – Strategie).

Diese Probleme sind in der Kultur der Organisation verankert und natürlich nicht dem Kommunikationsmedium selbst anzulasten. Ganz im Gegenteil ist es so, dass diese fehlgeleitete E-Mailkommunikation einen echten Nutzen hat: Als plakatives Symptom einer kulturellen Konstitution, die bei halbwegs ausgeprägter Selbstreflektion kaum jemand gutheißen kann. Im Idealfall lässt sich hiervon ausgehend auch auf Managementebene Verständnis für die Notwendigkeit von Veränderungen herstellen.

Und diese Veränderungen sind verblüffend leicht zu erzielen – sofern das Management bereit ist, sich entsprechenden Kommunikationsregeln zu unterwerfen. Wenn diese so ausgestaltet sind, dass die Führungsebene auch noch absehbar weniger Aufwand als zuvor hat, so ist das Verständnis besonders leicht herzustellen. Mit einem solchen Schritt kommt der Stein ins Rollen …

Vier Regeln sind genug

Folgendes Regelwerk hat sich für mich in der Vergangenheit bewährt (geltend für organisationsinterne E-Mails):

1. Ich lese keine E-Mails, die mehr als 20 Zeilen umfassen (Umfangregel).
2. Ich lese keine E-Mails, in denen ich nicht direkt persönlich in der Anrede angesprochen werde – d.h. implizit, dass ich Mails, in denen ich rein informatorisch in cc stehe nicht verarbeite (Adressatenregel).
3. Ich arbeite keine Mail Threads auf. Wenn ich in einen Vorgang eingeschaltet werde, der durch eine entsprechende Vorgeschichte gekennzeichnet ist, so erwarte ich eine kurze Zusammenfassung des Geschehens. Dies kann meinethalben in einer Mail geschehen (siehe jedoch Regel Nummer 1), oder aber in einer mündlichen Erläuterung (Kaskadenregel).
4. Und die wichtigste Regel von allen: E-Mails dienen aus meiner Sicht nur und ausschließlich der kompakten Informationsvermittlung. Bei Verwendung dieses Kommunikationsmediums gelingt meiner Erfahrung nach weder die Auflösung von inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten noch gar von Konflikten, die Emotionen berühren. In der Ableitung heißt das für mich: Sobald ich in einen Kontext hereingezogen werde, in dem die Kommunikation einen solchen Anschein bekommt, stelle ich die Kommunikation ein und suche den direkten, persönlichen Austausch (Inhaltsregel).

Mehr als Effizienzsteigerung

Das Signal, was durch die Anwendung dieser Regeln an die Mitarbeiter:innen ausgeht, wird häufig im ersten Schritt – wenn die unmittelbare Erläuterung fehlt – lediglich als Selbstoptimierung betrachtet. Von daher ist die Herstellung des Kontextes wichtig:
Die Umfangregel – Regel 1 – dient weniger meiner Effizienzsteigerung, als vielmehr der Effizienzsteigerung der Mitarbeiter:innen (ich kann schneller lesen, als der:ie Autor:in schreiben …). Komplexe Zusammenhänge mit allen relevanten Nuancen lassen sich in einem Bruchteil der Zeit in einem persönlichen Gespräch darstellen und ein gemeinsames Bild entwickeln.

Die Anwendung der Adressatenregel – Regel 2 – folgt mehreren Motivationen. Zunächst sind nach meinem Verständnis E-Mails kein geeignetes Mittel, um relevante Informationen im Unternehmen zu teilen. Wenn etwas wirklich wichtig ist, muss es an zentraler Stelle, wiederaufrufbar und durchsuchbar mit allen Mitarbeiter:innen geteilt werden. Das persönliche E-Mailarchiv darf nicht zur jeweils individuellen Quelle der Unternehmenswahrheit werden.

Von dieser Überlegung ausgehend sollte ich nur E-Mails erhalten, deren Informationsgehalt flüchtig und im wesentlichen für mich persönlich relevant sind. Was hindert den:ie Sender:in dann daran, die Information direkt auch an mich persönlich zu richten?

Darüber steckt hinter der Zusendung einer Mail in cc an ein oder mehrere Mitglieder:innen des Managements ein impliziter Wunsch, dass eine Einmischung in den Vorgang erfolgt. Hier stehe ich auf den Standpunkt: wenn eine Rückdelegation von Verantwortung erfolgt, so sollte diese explizit sein – und dann ist eine direkte Ansprache selbstverständlich.

Die Kaskadenregel – Regel 3 – dient maßgeblich dazu, dem:er Sender:in Anlass zu geben darüber nach zu denken, warum er:sie Management-Support in Anspruch nehmen möchte. Die Anforderung, die im Thread ausufernden Inhalte auf das eigentliche Problem kondensieren zu müssen, kann zur Auflösung des Problems als solchem beitragen. Ist der Thread – und dies ist häufig der Fall – ursächlich auf einen internen Konflikt zurückzuführen, erzwingt dieses Vorgehen eine Reflektion der eigenen Rolle, eine bewusste Positionierung im Konflikt und die Formulierung eines konkreten Wunsches bezüglich dessen, was aus Sicht des:r Schreibenden zu geschehen hätte. Auch diese Hürde ist nicht leicht zu nehmen – und die Konfrontation damit hilft, die eigene Rolle in der Konfliktsituation neu zu bewerten und vielleicht sogar einen Lösungsweg zu erkennen, der aus eigener Kraft eingeschlagen werden kann.

An dieser Stelle korrelieren die Kaskadenregel und die Inhaltsregel – die Regeln 3 und 4 – in gewisser Weise miteinander, wobei die Inhaltsregel insofern einen Schritt weiter geht, als dass sie eine These für die Konfliktursache impliziert.

Sie drückt eine Grundhaltung zu schriftlicher Kommunikation aus: Durch ihre Anwendung wird uns implizit die Kompetenz abgesprochen, in schriftlicher Form Probleme zielführend und mit einem gemeinsam akzeptierten Ergebnis lösen zu können. Diese Haltung mag berechtigterweise angezweifelt werden, da ich als sachliche Grundlage lediglich auf meinen persönlichen Erfahrungsschatz der letzten Jahre zurückgreifen kann.

Plausibel ist es jedoch allemal: Konflikte zu lösen, fällt uns in der Regel grundsätzlich nicht leicht. Die Reduktion der Mittel der Auseinandersetzung von Mimik, Gestik, Intonation, Verbalisierung im gesprochenen Wort auf Verbalisierung im geschriebenen Wort kann es nur deutlich schwerer machen, eine gemeinsame ein Verständigung zu erzielen. Wenn zwei Menschen einen solchen Versuch unternehmen, kommt es mir manchmal so vor, als wollten sie einhändig dem jeweils anderen die Schuhe zubinden …

E-Mails als maßgeblicher Prozessbestandteil

Ich habe bis hierhin einen wichtigen Kommunikationsanlass für die Verwendung von E-Mails bewusst außen vor gelassen: E-Mails als Bestandteil eines Prozesses.
Ohne auf die verschiedenen, möglichen Anwendungsfälle im Details eingehen zu wollen möchte ich ein schnelles, grundsätzliches Urteil dazu fällen – auch auf die Gefahr hin, das dies dem:r einen oder anderen zu pauschal anmuten könnte.

E-Mails als tragender Bestandteil von interner Prozesskommunikation sind aus meiner Sicht Ausdruck einer nicht abgeschlossenen Digitalisierung. Als Teil der Standardausstattung eines:r jeden Mitarbeiter:in drängt sich die E-Mail als schneller Workaround zur Pseudo-Prozessautomatisierung nahezu zwangsläufig auf. Eine wirklich tragfähige, finale Lösung wird dadurch jedoch nicht geschaffen. Um den Fokus nicht zu verlieren, möchte ich diese These an dieser Stelle einfach im Raum stehen lassen, ohne sie weiter zu verteidigen. Gerne stelle ich mich aber der Diskussion!

Unter der Annahme, dass meine These richtig ist, kann nur ein möglicher Schluss gezogen werden. Je weiter die Digitalisierung fortgesetzt ist, desto weniger spielen E-Mails in den internen Prozessabläufen eine Rolle. Damit stirbt dieser Kommunikationsanlass von alleine aus.

Knappe, anlassbezogene, flüchtige Kommunikation

Stellen wir uns eine Organisation vor, in der sich die oben genannten Kommunikationsregeln langsam durchgesetzt haben (was einen nicht unerheblichen, kulturellen Wandel impliziert) und deren Digitalisierungsgrad soweit fortgeschritten ist, dass E-Mails keine prozessrelevante Rolle mehr spielen. Welche Bedeutung hat die E-Mail Kommunikation noch?

E-Mails werden dann in asynchroner Arbeit als Mittel zur Informationsübermittlung und Koordination verwendet. Die Kommunikation ist stets anlassbezogen und knapp. Eine langfristige Persistierung der E-Mail Inhalte ist für die eigene Arbeitsorganisation und das interne Informationsmanagement nicht nötig.

Ist dann die E-Mailkommunikation noch das richtige Werkzeug? Aus meiner Sicht lautet die Antwort: nein!

Chat-Systeme sind die Alternative

Chat-Systeme – ob Mattermost, slack, userlike, rocketchat … die Liste lässt sich beliebig fortsetzen … bilden die oben genannten Kommunikationsanforderungen wesentlich nutzerfreundlicher und effizienter ab, als dies durch E-Mails gelingt.

Manche der eingangs geschilderten “Fehlnutzungen” in der Kommunikation sind rein technisch gar nicht möglich oder nur mit viel Aufwand herzustellen. Die aus dem privaten Umfeld bekannten Stile in der verkürzten Chat-Kommunikation zahlen positiv auf die Kompaktheit der Nachrichten ein. Die Nutzung von Emojis – in E-Mailkommunikation bis auf “)” – “,” – ”;” Kombinationen eher unüblich – ist vielen Nutzer:innen vertraut und findet plötzlich positiven Eingang in die Unternehmenskommunikation. Die positiven wie negativen Erfahrungen eines jeden mit Chat-Kommunikation im Privatleben werden generell für die Organisation nutzbar gemacht.

Zu guter Letzt: der Grad der Asynchronität liegt in der Hand der Nutzer. Im Zweifelsfall lässt sich auch eine nahezu synchrone – wenn auch nur schriftliche Kommunikation herstellen.

Und nun?

Wie ich eingangs sagte: Alles Gesagte bezieht sich auf interne Kommunikation. Aber was spricht dagegen, dass wir den Schritt wagen, die interne Kommunikation auf Chat-Systeme auszurichten und die E-Mail maßgeblich als Werkzeug in der Außenkommunikation zu verwenden? Aus meiner Sicht nichts.

Und damit sind wir wieder am Anfang: “Weg mit den E-Mails!”

Dr. Stefan Barth

Dr. Stefan Barth, Unternehmer, COO und Agile Coach, setzt sich für agile Werte auf jeder Ebene ein. Er weiß, wie Unternehmen von der agilen Transformation profitieren – wirtschaftlich und menschlich.

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