XR 2020: What's Happening?
Eine kurze Vorschau, welche Trends und Entwicklungen uns auf dem VR-/AR-/MR-Markt in den nächsten Monaten erwarten
Neue Hardware wird dank 5G, WiFi6 und Chips wie dem Snapdragon XR2 deutlich leistungsfähiger, kleiner und komfortabler. AR Clouds können Daten persistieren und ermöglichen ganz neue Anwendungsfälle, bei denen realer Kontext eine viel größere Rolle spielen wird als bisher. 2020 könnte also das Jahr sein, in dem XR den Mainstream erreicht.
Ein kurzer Überblick
Augmented Reality ist eines dieser Tech-Buzzwords, das (neben Blockchain) schon seit einigen Jahren gefühlt auf keinem Tech-Stammtisch und in keinem Businessplan fehlen darf. Scheiterte Google mit seiner frühen Version von Google Glass vor allem an öffentlichem Gegenwind in Bezug auf Datenschutz, haben sich seitdem zahlreiche andere Hersteller ein Herz gefasst und angefangen, auf dem Markt mitzumischen. Seit dem Release von ARKit als Teil von iOS 11 im September 2017 haben sich vor allem Spiele als der Hauptanwendungsfall herauskristallisiert – der bekannteste Vertreter ist sicherlich der virale Hit Pokémon GO. Auch Microsofts erste HoloLens-Version wurde 2015 noch mit einer Variante von Minecraft vorgestellt, während der Nachfolger viel deutlicher auf professionelle Anwendungsfelder ausgerichtet wird.
Die Art und Weise also, wie AR und VR bisher hauptsächlich genutzt wird, befindet sich demnach durchaus im Wandel. Neue Chips, bessere Hardware und Konzepte wie beispielsweise AR Cloud könnten in diesem Jahr dazu beitragen, dass diese aufregende Technologie endlich ihren Weg aus der Nische findet. In diesem Artikel möchte ich näher darauf eingehen, was in naher Zukunft möglich wird und wohin die Reise gehen könnte.
Compute, compute, compute
Natürlich: Viele AR- und VR-Endgeräte sind mobile Geräte, die keine Möglichkeit haben auf externe Ressourcen wie zum Beispiel eine klassische Grafikkarte oder eine konstante Stromzufuhr zurückzugreifen. Deswegen sind insbesondere die reine Rechenpower und die Energieversorgung limitiert. Gleichzeitig werden vor allem Chipsets leistungsfähiger bei gleichzeitig geringerem Energieverbrauch.
Im Dezember 2019 hat Qualcomm mit dem Snapdragon XR2 einen speziell für AR- und VR-Anwendungen konzipierten Chip vorgestellt, der deutlich leistungsfähiger ist als bisher für solche Geräte verwendete Recheneinheiten. Im Vergleich zu ähnlichen Vorgängerchips von Qualcomm werden doppelte CPU- und GPU-Leistung sowie bis zu 6-fache Videoauflösung erreicht und eine deutlich bessere Erfassung des Raums ermöglicht.
Zusätzlich unterstützt der Chip die neuesten Konnektivitätsstandards wie beispielsweise WiFi 6 (802.11ay) und 5G. So können mehr Daten von und zum Gerät bei gleichzeitig besonders geringen Latenzzeiten übertragen werden, was neuen Anwendungsfeldern – darunter AR Clouds und Remote Rendering – den Weg ebnet.
Der Hersteller hat bereits angekündigt, dass der XR2 in 2020 und 2021 seinen Weg in Produkte verschiedenster Hardware-Hersteller finden wird.
Die nächste Hardware-Generation
Mehr Rechenpower ist allerdings nicht das Einzige, was sich in Sachen XR-Hardware derzeit so tut. Auf der CES 2020 hat das chinesische Startup Nreal den aktuellen Stand zu seiner AR-Brille im Sonnenbrillenformat, Nreal Light, vorgestellt. Mit 88 Gramm etwas klobiger als herkömmliche Sonnenbrillen wird sie von einem Android-Smartphone per USB-C befeuert und mit diesem auch via Drehung und Neigung gesteuert. So lassen sich mehrere Android-Apps im Raum platzieren, zusammen mit speziellem dreidimensionalen Content. Aufgrund des Formfaktors ist das einer der ersten Schritte hin zu Endgeräten, die ausgereifte AR-Funktionalität nicht nur für Fans und Enthusiasten, sondern auch für die breite Masse attraktiv machen. Ein Developer Kit ist derzeit über die Internetseite des Herstellers bestellbar und Konsumenten können das fertige Produkt noch im ersten Quartal 2020 erwerben.
Für professionelle Anwender ist Microsofts HoloLens 2 womöglich die interessantere Alternative. Das mit „Mixed Reality for Business“ beworbene Headset wurde auf dem Mobile World Congress 2019 in Barcelona erstmals vorgestellt und die Auslieferung der Development Edition erfolgt offiziellen Angaben zufolge in „Kürze“. Wer sich also nicht von den üppigen 3.500$ pro Gerät abschrecken lässt, bekommt mit dem Microsoft-Produkt den derzeit größten Funktionsumfang (Augen- und Handverfolgung, hohe Auflösung und Raumerfassung mit 6 Freiheitsgraden) für eine von externer Hardware unabhängige MR-Brille. Microsoft setzt dabei auf den Snapdragon 850 und damit noch nicht auf den brandaktuellen, oben beschriebenen XR2.
HoloLens 2 mit Dynamics 365 Remote Assist. Quelle: Microsoft
Gleichzeitig verdichten sich aktuell die Gerüchte um die seit Jahren sagenumwobene Apple-Brille. Bisher ist noch völlig unbekannt, welche Form die Hardware annehmen könnte, aber ein Release noch in 2020 ist nicht ganz ausgeschlossen.
Dieses Headset soll zunächst erstmal drahtlos Daten von einem gekoppelten iPhone empfangen und so beispielsweise Karten, E-Mails und Chatnachrichten im Sichtfeld des Nutzers platzieren. Vor dem Hintergrund, dass Apple mit ARKit seit Jahren erfolgreich AR-Produkte – wenn auch rein softwareseitig – im Angebot hat, wäre ein eigenes AR-Gadget sicherlich ein logischer nächster Schritt.
Wie immer bei Neuankündigungen aus Cupertino, lässt sich noch nicht abschätzen, was genau in Planung ist und auch der Zeitpunkt ist alles andere als sicher.
Aber auch fernab von Brillen und Headsets tut sich derzeit einiges. Der Hersteller Ultraleap beispielsweise hat mit dem Leap Motion Controller eine kompakte und performante Lösung für das Erfassen der Hände entwickelt, womit ein ausgeklügeltes virtuelles Modell der Gelenke und Knochen in der Hand erstellt werden kann. Mindestens genau so spannend sind die haptischen Module des selben Herstellers des selben Herstellers, die durch die Steuerung von Ultraschall im Raum „fühlbare“ Objekte in die Luft projizieren. Das wird möglich durch eine Anordnung von Lautsprechern, die so in Zusammenspiel gebracht werden, dass stehende, fühlbare akustische Wellen im Raum entstehen.
Der Leap Motion Controller erfasst auch Teile von Händen, die ganz oder teilweise verdeckt sind. Quelle: Ultraleap
AR Cloud und Software
Viele Anwendungsfälle von XR beschränken sich auf einen bestimmten Raum: Bei Spielen wird ein in der Realität existierender Tisch erkannt und als Fläche verwendet, um auf dem Bildschirm des Smartphones digitale Objekte dorthin zu projizieren. Diese Projektion ist aber nicht spezifisch für diesen Tisch und bei einer nächsten Runde kann ein beliebiger anderer Tisch oder eine andere Position auf dem gleichen Tisch als Projektionsfläche dienen. Oftmals ist es schwierig, eine bestimmte Fläche so gut zu erkennen, dass sich digitale Inhalte passgenau darauf anzeigen und persistieren lassen. Wenn also Instruktionen zu einer Maschine digital über diese Maschine gelegt werden sollen, besteht die Herausforderung oftmals darin, ein bestimmtes Element zu erkennen (z.B. einen Knopf) und die entsprechenden Informationen (z.B. „Bloß nicht drücken!“) genau passend im dreidimensionalen Raum darüberzulegen.
AR Clouds lösen das Problem, indem Innenräume oder gar ganze Städte digital vermessen werden und im Anschluss über eine ausgeklügelte Algorithmik millimetergenau die Position des AR-Geräts erfasst werden kann. So findet eine klare Zuordnung zwischen dem digitalen und dem realen Raum statt und die Problematik des digitalen Überlagerns kann aufgelöst werden. Das ermöglicht beispielsweise bessere Indoor- und Outdoornavigation. Außerdem können so digitale Annotationen in 3D an Sehenswürdigkeiten in Städten platziert oder Instruktionen für Geräte in einem Airbnb durch den Gastgeber direkt am Gerät hinterlassen werden – ähnlich wie eine Art digitaler Post-Its. Akteure in diesem Feld sind unter anderem Scape und 6D.ai.
In der Praxis kranken solche Lösungen noch etwas an der tatsächlichen Verwendbarkeit. Teilweise bestehen Zeitlimits für die annotierten Daten, was die Anwendungsfälle wieder etwas limitiert. Außerdem sind, wie bei derzeit vielen AR-Anwendungen, gute visuelle Erfahrungen sehr häufig abhängig von einer möglichst konstanten Umgebung für optimales Tracking. Da mit dem Wetter auch die Lichtverhältnisse schwanken und sich mal mehr, mal weniger Personen und Gegenstände auf den Straßen befinden, kann das die Umsetzung der ein oder anderen App-Idee verzögern oder verhindern.
Ebenen der 6D.ai Reality Platform. Quelle: 6D.ai
Visuelle Geräteortung. Quelle: Scape
Wrapping Up
Nicht nur 2020, sondern auch die Jahre danach werden extrem spannend: Viele Technologien und Produkte mit ernsthaftem Disruptionspotenzial nähern sich der Marktreife oder erreichen allmählich die Hände von Entwicklern oder sogar Konsumenten. Besonders spannend wird sein, ob aus diesen Trends auch wirklich Kapital in Form von neuen Anwendungsfällen geschlagen werden kann. Leistungsfähigere Chips, leichtere und weniger klobige Endgeräte sowie ein sinkendes Preisniveau für alle möglichen Komponenten tragen dazu bei, dass dem Markt für XR mittlerweile eine riesige (auch monetäre) zukünftige Bedeutung beigemessen. Ob es XR in diesem Jahr allerdings gelingt, den ewigen Status der „nächsten großen Sache“ abzulegen und im Mainstream anzukommen, bleibt wohl abzuwarten. In der Vergangenheit scheiterten vielversprechende Produktvisionen an dem tatsächlichen Einsatz unter Realbedingungen.